Zuerst war das Essen.
Jedenfalls ist das meistens so: wenn wir eine „Weinbegleitung“ oder, neudeutsch, ein „Pairing“ suchen, dann fangen wir fast immer mit dem an, was auf dem Teller liegt. Und den besten Anfang macht man meistens – staunend. Im Klartext: wir fangen an, uns über so merkwürdige Fragen zu wundern, wie: „Wie schmeckt eigentlich eine Tomate?“
Tomatig? Reicht uns nicht. Jedenfalls nicht, wenn wir dieser gemüsigsten aller Beeren einen Wein auf den Leib schneidern wollen. Ich lade Euch ein, es selbst zu versuchen: schnappt Euch eine Tomate und beißt einfach mal wieder hinein (wie in einen reifen Pfirsich) – kein Salz, kein Pfeffer, kein Aufschneiden. Was schmeckt Ihr? Achtet auf die Säure und auf die Süße, auf die Textur und auf das Aroma: saftig, hoffentlich; dann säuerlich und fruchtig irgendwie, man könnte an Stachelbeeren oder an das Fruchtige in gelber Paprika denken; manchmal aber auch pflanzlich, als könnte man den Stiel und die Blätter noch schmecken; je reifer die Tomate dann ist, desto mehr mischt sich auch ein herzhafter, erdiger, beinahe fleischiger Geschmack darunter – umami. Tatsächlich haben vollreife Tomaten eine erstaunliche Menge von Glutaminsäure, einem der wichtigsten Träger des fünften Geschmacks (nach süß, sauer, bitter und salzig). Weniger reife Tomaten haben eine poröse, wässrige Textur und etwas Biss, reifere werden sämig, haben beinahe etwas wie Schmelz. Ein Spektrum also, das von säuerlich-fruchtig-grün bis zu süß-erdig- herzhaft reicht.
Damit arbeiten wir. Die nächste Frage gilt dem Kontext: wie taucht die Tomate auf? Roh oder gekocht? Gar getrocknet? Am Stück, püriert oder passiert? Ist sie der Hauptcharakter oder in einer Nebenrolle? Wer tritt mit ihr auf? Was ist der Anlass, wie die Stimmung? Am Ende ist der Kontext natürlich Euch und Eurer Kreativität überlassen. Und er hat wesentliche Auswirkungen auf die Auswahl des passenden Weins (oder allgemeiner: Getränks). Ich will Euch aber ein Beispiel geben und versuchen, Euch ein wenig meinen Prozess offenzulegen. „Bringe einem Menschen das Weinfischen bei...“ – oder so ähnlich.
Beispiel: Gazpacho Ein paar meiner liebsten Kochbücher sind von Nigel Slater. Es sind nur teilweise Kochbücher – man könnte sie auch als kulinarische Tagebücher bezeichnen. Jedenfalls beschreibt Slater jeweils ein ganzes Jahr über, was er so isst. Das alles ist zum einen schön geschrieben, zum anderen gibt es mir saisonale Inspiration, weil er vieles selbst anbaut und oft isst, was er erntet. Im späten Juli / frühen August war da ein Eintrag zu einer sommerlichen Gazpacho: einer spanischen, kalten, sommerlichen Suppe aus pürierten Tomaten, Paprikas und Gurken mit Knoblauch, Zwiebeln und wahlweise auch mit geröstetem Weißbrot oder etwas Serrano. (Auf das Rezept gehe ich nicht weiter ein, aber Ihr findet es online beim Guardian, wenn ihr nach Nigel Slater und Gazpacho sucht.)
Was unseren Kontext angeht, sind wir also (weitestgehend) roh und püriert, es gibt Gemüsiges dazu, wir haben pflanzliche Bitterstoffe, Säure, Frucht und ein paar Gewürze: süßlich-erdig- rauchige Paprika, Pfeffer und Salz. Genauso wichtig: das Essen ist leicht und sommerlich, und wir wollen uns diese Stimmung auch mit dem Wein nicht verderben. Ade Amarone also. Das Essen ist einfach und im besten Sinne rustikal. Champagner und Co. wären fehl am Platz (auch wenn ein hartnäckiger Kern von Sommeliers behaupten würde, Champagner gehe immer – ich bin anderer Meinung!).
Wir wollen einen einfachen, guten Wein, der die sommerliche Stimmung aufrecht erhält, tendenziell also etwas mit weniger Alkohol und etwas mehr Frische (man könnte auch Säure sagen, aber dann verschreckt man die Leut). Man könnte sicherlich einen etwas fruchtigeren, leichten Weißwein nehmen, mich reizt aber das süß-rauchige Paprika-Aroma und es bringt mich in eine rötere Richtung. Auch der Serrano, wenn gewollt, hilft dabei. Ich suche also etwas leichtes, rotes, unprätentiöses, das zum Sommer passt, vielleicht kühl zu trinken ist, und das sowohl die fruchtigen als auch die erdig-würzigen Aromen abdeckt (erdig-würzig findet man selten bei Weißwein). Das Gericht kommt aus Spanien, also läge es nahe, dort zu suchen – aber ich erinnere mich noch sehr gut an meinen letzten Urlaub in Emilia-Romagna, Italien also, und an die hervorragenden, trockenen roten Lambruscos (Lambruschi?), die es dort gab. Einer ganz besonders kommt mir in Erinnerung: Der No Autoclave von Gianluca Bergianti aus der Umgebung von Modena. Ein biodynamisch arbeitendes Weingut (mit Pferden, Eseln, Schafen und allem drum und dran), wo nicht nur Wein sondern auch Getreide, Gemüse und anderes angebaut wird. Der No Autoclave ist ein trockener, roter, leichter und leicht sprudelnder Lambrusco. Die Aromen erinnern mich an reife schwarze Kirschen, Tomaten und mediterrane Kräuter. Er hat kaum Gerbstoff, was wichtig ist, weil sich Umami und Tannin schlecht vertragen. Wir lehnen uns also in die Aromen des Gerichts hinein, während wir auf eine passende Stimmung achten und bei der Textur darauf bedacht sind, keine ungewollten Karambolagen zu erzeugen (das passiert meistens aufgrund von Süße, Umami und Schärfe im Essen). Achtet aber immer darauf, dass Ihr den Salzpunkt beim Essen richtig trefft – das macht so ziemlich jeden Wein daneben besser. Den No Autoclave findet Ihr bei FYT in Prenzlauer Berg.
Ein paar Alternativen im Schnelldurchlauf, weil ja nicht jeder Lust auf Gazpacho hat:
Die allseits beliebte Caprese, aufgemotzt mit gerösteten (noch besser: gegrillten) Pfirsichen? –– Bardolino Chiar’otto von Villa Calicantus (gibt’s bei Sublime Wine)!
Parmigiana (ich empfehle das „A little Eggplant Parm“ Rezept von Alison Roman)? –– Sannas Bobottis Cannonau di Sardegna (sehr gut aber teurer, findet Ihr bei Mezzacantina) oder Coste della Sesia von Colombera & Garella (einfacher, gibt’s bei Viniculture)!
Ein gutes BLT? Den Naoussa Xinomavro von Dalamára (bei Edel & Faul) oder die Don’t be Shy Scheurebe von Elias Hippert (Viniculture).
Ihr merkt schon: die Möglichkeiten sind endlos. Aber merken könnt Ihr Euch auch: orientiert Euch zuerst am Anlass und „Vibe“, passt dann auf mit Tannin im Wein, wenn Süße oder Umami im Essen sind, sucht Euch ein Element heraus, dass Ihr mit dem Wein aufgreifen wollt – und trinkt ansonsten vor allem was Euch schmeckt. Wenn ich Euch aber hier oder da inspirieren konnte, freue ich mich natürlich sehr.
Credits
Text: Paul Knittel | https://paulknittel.de/ | Instagram: @paul.knittel
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